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Leserbrief an die BNN

Fragwürdige Aussagen
Der BNN Artikel „Obdachlose Großfamilie musste gehen“ vom 9.11.21 wirft aus fachlicher Sicht einige Fragen auf:

„Nach dem baden-württembergischen Polizeigesetz sind Obdachlose eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ Diese Formulierung ist nicht nur eine unglaubliche Gedankenlosigkeit, weil mit ihr von Armut betroffene Menschen quasi zu Straftätern erklärt werden, sondern sie ist vor allem schlicht falsch! Nicht Obdachlose, sondern Obdachlosigkeit gilt nach dem Polizeigesetz als Störung der öffentlichen Ordnung. Das wendet sich also nicht an die betroffenen Personen, sondern verpflichtet die jeweilige Kommune, den von unfreiwilliger Obdachlosigkeit betroffenen Menschen ein Angebot zur Beseitigung der Obdachlosigkeit zu machen.

Die Sozialarbeiterin der Diakonie wird mit der Behauptung zitiert, es sei in Karlsruhe verboten, in der Öffentlichkeit zu leben und zu schlafen. M.W. gibt es keine generelle Vorschrift dieser Art in der geltenden städtischen Polizeiverordnung. Es ist mir auch unverständlich, warum die Sozialarbeiterin unbedingt hervorheben muss „Manche wollen sich aber nicht helfen lassen“. Von einer Fachkraft in der Wohnungslosenhilfe erwarte ich das Wissen um elendsbedingte Resignationsprozesse und das Bewusstsein bei öffentlichen Äußerungen falschen Vorurteilen nicht noch Vorschub zu leisten. Und kaum zu glauben: ist das wirklich der diakonische Ansatz, wohnungslosen Menschen zu raten, dahin zu gehen, wo sie nicht auffallen? Damit sind ihre Probleme gelöst?

Im Fall der rumänischen Großfamilie zitiert die BNN die Sozialarbeiterin mit der Aussage: „Gesetzlich vorgesehen ist eine Fahrkarte nach Rumänien“ Auch hier darf man nachfragen: in welchem Paragrafen welchen Gesetzes soll das stehen? Es ist zwar rechtens bei der Beseitigung von Obdachlosigkeit auf zumutbare Selbsthilfe zu verweisen. Das kann auch bedeuten, denjenigen, die anderswo noch eine tatsächliche Wohnmöglichkeit haben, die Fahrtkosten dahin anzubieten. Das setzt aber die individuelle Prüfung der Zumutbarkeit voraus. Es scheint fraglich, ob das in diesem Fall ernsthaft geschehen ist. Da die betroffene Großfamilie seit Jahren in Deutschland lebt, deutet alles darauf hin, dass sie in ihrer Heimat keine Möglichkeit sieht, ihre Existenz menschenwürdig zu sichern. Die Beachtung und der Schutz der Würde des Menschen ist aber die oberste Verpflichtung alles behördlichen Handelns.

Die Karlsruher Wohnungslosenhilfe genießt wegen diverser beispielhaft guter Konzepte und differenzierten Angeboten seit Jahren bundesweit Beachtung. Es ist bedauerlich, dass durch die zitierten fachlich fragwürdigen Aussagen und oberflächliche Berichterstattung dieses Bild getrübt wird.
Winfried Uhrig
Stutensee

Der Leserbrief wurde veröffentlicht in der BNN vom 02.12.2021

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